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WALTERWIRD NEUGIERIG. Wie fährt sich ein Porsche 356 mit Turbomotor aus dem 911? Da zittert selbst Porsche Legende Walter Röhrl der Gasfuß. »MAN KANN EIN AUTO NICHT WIE EIN MENSCHLICHES WESEN BEHANDELN – EIN AUTO BRAUCHT LIEBE.« Mal ehrlich, einen Walter Röhrl kann so schnell nichts hinterm Ofen in Sankt Englmar hervorlocken. Der Mann hat (nicht nur) in der Porsche Welt so ziemlich alles gesehen und alles gefahren, was es zu sehen und zu fahren gibt. Während der Siebziger trieb er immer wieder Rallye-Geschosse durchs Gelände, oft so lange, bis einer nicht mehr konnte – und das war in den seltensten Fällen Walter Röhrl. Danach gab er sein fahrerisches Können und Gespür an die Entwickler in Zuffenhausen weiter, erst beim 959, dann beim 964 und allen folgenden 911, aber auch für die Rennstrecke mit dem Carrera GT und dem 918 Spyder. Kurz, was soll ein derart erfahrenes Fahrgenie noch neugierig machen können? Ein Porsche 356. Gut, kein ganz normaler. Der schiefergraue 356 B Roadster, der jetzt in Röhrls Garage steht, ist schon auf den ersten Blick anders: Ein wahrhaft enormes Hinterteil liegt auf den verbreiterten Radläufen. Unter der Haube wartet statt des ursprünglichen 4-Zylinder-Boxers eine 6-Zylinder-Turbo maschine aus einem 930 mit satten 260 PS auf die Umdrehung des Zündschlüssels. Wer den geradezu zarten und fragil anmutenden 356 kennt, zumal in der offenen Variante, und sich die brachiale Gewalt des 3,0-Liter-Turbos ins Gedächtnis ruft, wird ein aufkommendes Ganzkörperzittern kaum verbergen können. Ehrfurcht vor den Gesetzen der Physik hält da bei den meisten die Neugier im Zaum. Außer bei Walter Röhrl natürlich, der sich noch gut an die erste Fahrt erinnert: „Ich bin ein großer Freund von alten Autos, sie geben einem noch das Gefühl, etwas können zu müssen. Aber ich war verwundert, wie perfekt ausbalanciert er sich bereits beim ersten Versuch anfühlte. Vorne die tiefe Lippe, hinten der schwere Motor, 260 PS – der fährt sich ruhig, präzise und macht richtig Spaß.“ Wer kommt auf die Idee, so ein ungewöhnliches Fahrzeug zu bauen? Und: Ist es die reine Neugier, die einen treibt, um zu sehen, ob so etwas überhaupt sinnvoll machbar ist? Nun, die Geschichte des Turbo-Roadsters ist eine Geschichte für sich, die hier den Rahmen sprengen würde. Sie erzählt vom öster- reichischen Eigenbrötler und Porsche Liebhaber Viktor Grahser, der sich Ende der 1990er-Jahre seine sparta nische 20-Quadratmeter-Wohnung mit einem 356 imWohnzimmer – ja, imWohnzimmer – teilt. Dort lebt er seinen Traum, bastelt, tüftelt und fährt in Gedanken die Küstenstraßen Australiens ab, wo er bis zur Trennung von seiner Frau gelebt hat. Grahser will in seinem Dorf ein Porsche Museum errichten, im Mittelpunkt soll der in Australien noch nicht fertig umgebaute Roadster mit 930 Technik stehen. Doch Grahser stirbt 2008. Über Umwege gelangt sein Erbe in die Hände von Rafael Diez, der das Projekt Turbo-Roadster schließlich zu Ende führt und den Wagen 2020 an Walter Röhrl übergibt. Dem Mann, der fährt wie kein anderer und dessen Beziehung zu Autos ohnehin einzigartig ist: „Man kann ein Auto nicht wie ein menschliches Wesen behandeln – ein Auto braucht Liebe.“ Für den neuen Besitzer schließt sich mit dem Grahser Porsche ein Kreis. Denn Röhrls erstes eigenes Auto, das er sich im Alter von 21 Jahren gekauft hatte, war ein Porsche 356. UNTERWEGS 53
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